Pressekonferenz 11.November 2022
Gemeinsame Stellungnahme von Schutzgemeinschaft HM, Landerlebnis eV.,
Bauernverband, BUND und NABU -Ortsgruppen Weinheim sowie BI Breitwiesen e.V. -
Hintere Mult -
Mit großer Sorge beobachtet man bei Naturschützern, Bauernverband, Schutzgemeinschaft
Hintere Mult, Landererlebnis e.V. und Breitwiesen e.V. den Vorstoß der Weinheimer
Stadtverwaltung, das Bebauungsplanverfahren „Hintere Mult“ durch den Gemeinderat wieder
aufnehmen zu lassen.
War es nicht der Oberbürgermeister, der in Fragen der Stadtentwicklung die Bürger*innen
beteiligen wollte? Die Erarbeitung eines städtebaulichen Rahmenplans einschließlich der
Freiräume in und um die Stadt soll Aufgabe der Zukunftswerkstatt sein, so war zu lesen.
Die Frage, ob die Hintere Mult als Teil eines Grüngürtels erhalten bleibt, berührt nicht nur
Interessen einzelner Unternehmer, sondern die vieler Weinheimer *innen.
Daher muss das Thema in die Zukunftswerkstatt einbezogen werden, so die
Bodenschützer*innen. Es würde die Zukunftswerkstatt gänzlich in Frage stellen, wenn 125 000
qm landwirtschaftliche Fläche, Naherholungsgebiet einfach ausgeklammert werden. Ein solches
Übergehen der BürgerInnen würde die Gräben wieder aufreißen, die der OB doch angeblich
zuschütten will.
In allen Gruppen der Zukunftswerkstatt wurde mit großer Mehrheit für einen Schutz vorhandener
Freiräume, landwirtschaftlicher und Grünflächen plädiert. In dieser Phase wurde am 22.05.2022
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg veröffentlicht, das den vor über 5
Jahren beschlossenen Bebauungsplan Hintere Mult für unwirksam erklärte. Für die Beteiligten
der Zukunftswerkstatt war klar, dass auch die Hintere Mult wieder zu jenen Flächen gehört, die
gem. Gruppenvotum zu schützen sind und nicht für weitere Versiegelung zur Verfügung stehen.
Warum soll die Bebauung der Hinteren Mult im Gemeinderat weiterbetrieben werden, so, als
gäbe es keine Zukunftswerkstatt und, als habe sich in den letzten 5-6 Jahren nichts verändert?
Die Verhältnisse haben sich seit 2017 grundlegend geändert. Der Gemeinderat muss neu
bewerten. Er ist weder rechtlich noch aus sonstigen Gründen an das Votum von vor einem
halben Jahrzehnt gebunden. Hierbei zu berücksichtigen:






Die Klimakrise lehrt uns, dass wir alle Grünflächen brauchen, die wir noch haben.
Die Hintere Mult ist ein Kaltluftentstehungsgebiet, das die Umgebung um bis zu 5 Grad
kühlen kann. Jeder Hektar der mit Pflanzen bestellt ist, erbringt eine Kühlleistung, die
technisch erzeugt, je nach Energieträger pro Jahr mind. 500 000 € kosten würde
(Quelle:bodenwelten.de).
Zur Reduzierung von atmosphärischem CO2 benötigen wir unversiegelten Boden. Der
Bau weiterer Hallen zerstört den CO2 Speicher und treibt die CO2-Bilanz in die Höhe.
COVID zeigte uns, wie wichtig die stadtnahen Grünflächen als Naherholungsgebiete
sind.
Der Angriffskrieg auf die Ukraine und die Vernichtung der Kornkammer Europas haben
uns deutlich vor Augen geführt, dass wir jeden qm Boden für die Erzeugung von
Lebensmitteln brauchen. Regionale Versorgung wird immer wichtiger und muss
gewährleistet sein.
Zu berücksichtigen ist, dass die Böden auf der HM von besonderer Qualität sind,
fruchtbar und mit hoher Wasserspeicherfähigkeit.
Der Verlust von Boden ist nicht ausgleichbar. Selbst wenn an anderer Stelle Boden
entsiegelt wird, dauert es Jahrhunderte, bis sich wieder lebendiger Boden entwickelt, auf
dem Feldfrüchte angebaut werden können.
Durch weitere Versiegelung steigt die Hochwassergefahr. Flutkatastrophen wie im
Ahrtal und anderswo machten deutlich, wie wichtig die Wasseraufnahme durch
unversiegelte Böden ist, Regenwasserrückhaltebecken kosten Millionen Euro und leistenPressekonferenz 11.November 2022



weniger Schutz vor Überschwemmungen als der natürliche Boden. Zudem verursachen
sie Überwachungs – und Instandhaltungsaufwand.
Jeder Hektar Flächenneuinanspruchnahme bedeutet ferner einen Verlust von 2000 m3
Grundwasserneubildung pro Jahr (Bedarf von 40 Haushalten)
Äcker, Wiesen und Weiden bieten zahlreichen heimischen Tier- und Pflanzenarten
Lebensraum. So dienen die in der Hinteren Mult gelegenen Feldhecken etlichen
Vogelarten als Nistplatz, u.a der Mönchsgrasmücke. Die Böden der Äcker und Wiesen
beherbergen eine Vielzahl an Kleinstlebewesen, die für Fruchtbarkeit sorgen.
Die Existenz eines Landwirtschaftlichen Betriebs (zwei Generationen) steht auf dem
Spiel.: Der landw.Betrieb wurde bereits 1973 auf die Hintere Mult umgesiedelt und hat
dort laufend modernisiert. Vor allem die hofnahen Flächen machen den Bauernhof
zukunftsfähig. Selbst hohe Standards der Tierhaltung sind dort erfüllt. Zu erwartende
Verpflichtungen für Weidemöglichkeiten können nur mit Flächen auf der HM realisiert
werden.
Der Gewerbebetrieb, der erweitern will, kam 2004 in die Olbrichtstrasse. Der
Erweiterungswunsch ist zwar verständlich, aber auf die Belange anderer Betriebe ist
Rücksicht zu nehmen. Der Flächenbedarf des Filterherstellers kann auch anderweitig
gedeckt werden.
• Spätestens seit dem Wiederanfahren der Wirtschaft nach COVID ist überall ein
signifikanter Mangel an Arbeitskräften festzustellen. Zusätzliches Gewerbe könnte das
zusätzliche Personal kaum bekommen, ohne den anderen Betrieben in Weinheim und
Umgebung weitere Personalprobleme zu bereiten.
• Gewerbesteuer fließt, wenn überhaupt, dann erst nach -zig Jahren. Was an
Gewerbesteuer hereinkäme, würde größtenteils nur die Schlüsselzuweisung des Landes
reduzieren. Feststeht: Gewerbesteuer kann auch ohne Flächenverbrauch erzielt werden.
• Wie viele Jahre erfolgreichen Wirtschaftens der Unternehmen sind wohl nötig, um die
Kosten wieder einzufahren? Hat die Stadt dies beim Ausweisen von Gewerbeflächen je
errechnet? Bei den Kosten sind i.ü. nicht nur Erschließungskosten,
Regenrückhaltebecken, Planungs- und externe Beraterkosten sowie Personalkosten zu
berücksichtigen. Der Verlust klimarelevanter Flächen, Böden für regionale Versorgung.
kann keinen entsprechenden „return on Invest“ haben. Schon gar nicht die Zerstörung
der Ressource Boden, die künftigen Generationen nahrungs-und klimarelevante
Lebensgrundlagen entzieht.
Dies sind nur die wichtigsten Schutzgründe für die Hintere Mult.,
Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, auf der Hinteren Mult ein Gewerbegebiet aus dem Boden
zu stampfen. Der Ehrgeiz von Teilen der Verwaltung, Fehler eines früheren Verfahrens zu
korrigieren, kann jedenfalls das Interesse der Allgemeinheit am Erhalt von Grünland und
landwirtschaftlicher Fläche nicht überwiegen.
Dem Flächenbedarf des Gewerbebetriebs B&S kann auf andere Weise Rechnung getragen
werden. Dies wäre eine Win-win-Situation, von der alle profitieren.
Für weiteres Gewerbe, so in den nächsten Jahren Ansiedlungswünsche überhaupt bestünden,
gibt es genug Flächen in Weinheim, die nicht genutzt oder unternutzt sind. Diese zu aktivieren
wäre eine vorbildliche Leistung der Wirtschaftsförderung, ebenso ein
Bestandsflächenmanagement.
Feststeht, dass die hier versammelten Organisationen gemeinsam und im Schulterschluss mit
allen geeigneten Mitteln für den Schutz der HM eintreten werden.