Unsere Übergabe der Einwendung zum Regionalplan

Beim Flächenfraß beißt die Natur ins Gras“
Der alte Konflikt um die Nutzung von Flächen nimmt wieder Fahrt auf – Grund ist die Fortschreibung des Einheitlichen Regionalplans

Von Günther Grosch


Weinheim. Mit mehr als 1000 Einwendungen „randvoll“ zeigte sich der Korb, den Ingrid Hagenbruch von der Bürgerinitiative Breitwiesen und Landwirtin Annemarie Raffl am Freitagmittag Weinheims Erstem Bürgermeister Torsten Fetzner übergaben. Hintergrund der Protestaktion ist die anstehende Änderung des Einheitlichen Regionalplans Rhein-Neckar, der die Grundlage für die räumliche Entwicklung in der Region bildet. Aus Sicht der Protestierenden droht im Zuge des Verfahrens eine erneute Verknappung von Flächen, die der Landwirtschaft vorbehalten sind. Wie Weinheims Stellungnahmen zu dem Regionalplan ausfallen, entscheiden die politischen Gremien.

Der Ausschuss für Technik und Umwelt wird am Mittwoch, 9. Juni, gehört. Abgestimmt wird eine Woche später im Gemeinderat: am 16. Juni. Bündnissprecherin Hagenbruch ging zunächst auf die Gesamtgemengelage ein. „Fruchtbarer Boden ist knapp“, erklärten sie und weitere Mitstreiter vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu), dem Bauernverband Weinheim, Fridays for Future sowie dem Klimabündnis Weinheim. In den vergangenen 50 Jahren habe die Menschheit so viel Fläche verbraucht, wie zuvor alle Generation zusammengenommen. Allein in Baden-Württemberg betrage der „Flächenfraß“ circa fünf Hektar pro Tag. Im dicht besiedelten Rhein-Neckar-Raum zeige er sich besonders hoch. „Wissenschaftlich gesichert ist zudem, dass Flächenverbrauch und Bodenversiegelung mit ursächlich für die Klimaerwärmung und den Verlust an Artenvielfalt sind“, so Hagenbruch. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April, mit der die Richter der Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition zum Teil stattgegeben haben, zwinge die Politik nun dazu, „nachzubessern“. Es seien Maßnahmen zu ergreifen, die einer Verschärfung der Situation entgegenwirken. Darüber hinaus festige der Beschluss den Anspruch jedes und jeder Einzelnen auf Klima- und Ressourcenschutz.

Vor diesem Hintergrund müsse die Politik bei der Fortschreibung des Regionalplans die bisherige Herangehensweise überprüfen und an die neuen Ziele anpassen, so Hagenbruch. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, haben wir in 75 Jahren keine landwirtschaftlichen Anbauflächen mehr.“ In der Vergangenheit habe man über die eigenen Verhältnisse gewirtschaftet und zu viel Fläche verbraucht. Flächen, die im Regionalplan 2014 „über Bedarf“ eingeplant wurden, müssten jetzt an Natur und Landwirtschaft zurückgegeben und mit Restriktionen belegt werden, „nicht umgekehrt“. Flächen „entwickeln“ heiße nicht, sich auszudehnen: Eine intelligente, nachhaltige Entwicklung bedeute „Vorhandenes zu nutzen, sich anzupassen und Ressourcen zu erhalten“. Dann kam Hagenbruch auf die Situation vor Ort zu sprechen: Die Verwaltung habe den politischen Gremien empfohlen, den Schutzstatus von 28,6 Hektar landwirtschaftlicher Fläche aufheben zu lassen, damit daraus Bauland werden kann.

Die Verwaltung spreche von „Spielraum“, die Bürgerinitiative und ihre Mitstreiter fordern dagegen den „Erhalt von Lebensraum“, so Hagenbruch. Hinzukommt: Die diesbezügliche Entscheidung des Gemeinderats wäre bindend, das Beteiligungsprojekt Zukunftswerkstatt könne daran nichts mehr ändern: „In Weinheim sind allein seit 2000 etwa 130 Hektar Fläche für Siedlung und Verkehr verloren gegangen.“ Auf der anderen Seite stehe für den Wohnbau aktuell ein Potenzial von mehr als 30 Hektar zur Verfügung. „Sehenden Auges“, so Hagenbruch, sollten durch die Planung letztlich 31 Hektar Feldflur aus ihrem Schutzstatus herausgenommen und zum Spielball für Bauleitpläne werden. Weinheims Nachbargemeinden hätten verstanden, dass es nicht so weitergehen kann, sagte sie: „Weinheim nicht?“


Die Landwirte begrüßten es, dass auch die Verwaltung das Gebiet Breitwiesen als Ackerland erhalten möchte, so Bauernverband-Sprecher Fritz Pfrang. Dazu bedürfe es allerdings einer Korrektur im Regionalplan. Der Bereich „Breitwiesen“ sei seit 2011 als „Sonstige Fläche“ ausgewiesen, „die man jederzeit für andere Nutzungen überplanen kann“. Sein Vorwurf: Die Stadt habe es nach dem Bürgerentscheid von 2013 versäumt, das Resultat gegenüber dem Regionalverband kundzutun. Damals hatten sich die Weinheimer Wähler mehrheitlich gegen eine gewerbliche Nutzung der Breitwiesen ausgesprochen. Die anstehende Änderung des Regionalplans ermögliche es nun, dies „richtigzustellen“ und die Breitwiesen wieder als landwirtschaftliche Vorrangfläche einzustufen. Konkret fordere der Bauernverband die Verwaltung dazu auf, dies in ihrer Stellungnahme zur Änderung des Einheitlichen Regionalplans Rhein-Neckar aufzunehmen. Vom Gemeinderat erwarten die Landwirte, dass er nicht gegen den Willen der Bürger handelt. „Ein anderes Handeln wäre weltfremd“, zitierte Pfrang eine Aussage von OB Manuel Just, die der bei der diesjährigen Versammlung der Jagdgenossenschaft getätigt habe.

„Guter Boden ist wichtig und unsere Lebensgrundlage“, so Joel Möller (Fridays for Future, Klimabündnis). Dessen Verknappung dürfe nicht zulasten künftiger Generationen geschehen. Stattdessen machte er sich für eine Umnutzung bestehender Gewerbeflächen zu Wohnzwecken stark und forderte ein Umdenken beim Wohnungsbau. Das Baugebiet Allmendäcker kratze hier nur am unteren Ende des Möglichen. Der Naturschutzbund habe schon in den 1960er-Jahren vor Flächenfraß gewarnt, so Ralf Hilpert. Die Sünden der Vergangenheit dürften sich nicht wiederholen. Ein „Weiter so“ funktioniere nicht mehr. FDP-Gemeinderat Karl Bär appellierte an seine Ratskollegen, sich zu Herzen zu nehmen, was ihre Parteien in ihre Wahlprogramme schreiben: „Der Flächenfraß muss rasch verringert werden.“ Eine Lanze für den Nachwuchs in der Landwirtschaft brach Anneliese Raffl. Viele Junglandwirte wollten die Betriebe ihrer Eltern weiterzuführen. Doch wenn sich die Anbauflächen verringern, stünden die Chancen schlecht, weil dann keine Subventionen mehr fließen: „Die Höhe der Unterstützung hängt von der Menge der vorhandenen Fläche ab.“ Er sei in vielen Dingen mit den vorgetragenen Meinungen „d’accord“, so Erster Bürgermeister Torsten Fetzner. Auf der anderen Seite müsse sich aber auch die Stadt zukunftsfähig aufstellen. Und hierzu gehöre nun einmal auch Bauen und Wohnen. Er zeige sich dennoch zuversichtlich, dass für beide Seiten die richtigen Maßstäbe gesetzt würden.

Bildinformation: Der Erste Bürgermeister bekam einen Korb: Torsten Fetzner (2. v. l.) nahm die Kritik an den möglichen Änderungen im Regionalplan und die damit verbundenen Einwendungen entgegen. Boden-, Natur- und Klimaschützer sowie Landwirte hatten die Aktion veranstaltet. F.: Kreutzer