Stellungnahme hintere Mult

1.1

Die Nachfrage nach Boden ist aus Sicht der Nachfragenden verständlich. Weinheim ist beliebt. Und gerade in der aktuellen Niedrigzinsphase wird versucht, in wertvolle Immobilien zu investieren.

Allein die starke Nachfrage nach Gewerbegrundstücken darf nicht zum Anlass genommen werden, ein neues Gewerbegebiet zu entwickeln. Vielmehr muss vorher u. a. genauestens untersucht werden, ob ein neues Gewerbegebiet der Stadt Weinheim Nutzen bringt,

  • die Weinheimer Bevölkerung so etwas überhaupt haben will,
  • langfristig der Stadt einen finanziellen Vorteil bringt,
  • zu Verlusten und Nachteilen auf anderen Ebenen führt.

Weinheim hat zwar in den letzten Jahrzehnten wenige Gewerbegebiete neu ausgewiesen, aber dies ist kein Grund jetzt ein neues entwickeln zu müssen, zumal gerade das Gebiet Langmaasweg kurz vor der Vermarktung steht und die Entwicklung der letzten Jahrzehnte nicht übersehen werden darf.

Weinheim hat derzeit eine gute Infrastruktur und viele attraktive Arbeitsplätze. Anstatt weiter zu expandieren, ist es nun an der Zeit eine Konsolidierung anzustreben, denn in einer endlichen Welt kann es kein unbegrenztes quantitatives Wachstum geben - nur qualitatives.

Dies ist wirtschaftlicher, weil keine zusätzlich zu pflegende Infrastruktur geschaffen wird. Alleine die schon angefallenen und noch anfallenden Planungskosten stellen eine nicht zu vernachlässigende Größe dar.

Bevor ein neues Gewerbegebiet erschlossen werden soll, müsste zunächst eine Wirtschaftlichkeitsberechnung stattfinden, in der alle anfallenden Kosten, angefangen bei der Planung bis hin zur Pflege für mindestens 40 Jahre, berücksichtigt werden.

1.2

Hier wird ungerechtfertigt eine Drohkulisse aufgebaut. Abwanderungen von Betrieben hat es schon immer gegeben, was nicht immer ein Schaden für Weinheim war. Dafür wurden und werden dann ja auch wieder Flächen frei, wo sich andere Betriebe ansiedeln können. Das gehört zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dynamik, welche für den Fortschritt unerlässlich ist.

Drei der vier genannten Ziele sind schon erreicht, wenn man das Gebiet so belässt wie es ist. Es ist nicht Aufgabe der Stadt Weinheim die große Nachfrage nach Gewerbeflächen zu erfüllen. Dies ist eine Freiwilligkeitsleistung zu der es keine Verpflichtung gibt. Es dürfen hier keine Partitionalinteressen der Kaufinteressenten befriedigt werden.

Die Versorgung der Weinheimer Bevölkerung mit Arbeitsplätzen ist aktuell kein Problem. Im Gegenteil. Derzeit herrscht Fachkräftemangel. Fast alle Betriebe haben Probleme geeignete Arbeitskräfte zu bekommen. Werden nun noch weitere Arbeitsplätze in Weinheim geschaffen, wird es für die bestehenden Betriebe noch schwieriger. Es werden also bestehende Betriebe und die dort bestehenden Arbeitsplätze gefährdet, wenn zusätzliche Gewerbebetriebe angesiedelt werden.

Zudem sollte bedacht werden, dass momentan eine zusätzliche Aufheizung der Baukonjunktur, was durch ein weiteres Gewerbegebiet ohne Zweifel stattfindet, es gerade für die Stadt als Auftraggeber schwieriger machen wird, für eigene Baumaßnahmen Betriebe zu einem vertretbaren Preis zu finden. Dieser Umstand tritt bereits heute ständig auf.

Weiter muss beachtet werden, dass von eventuellen zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen lediglich 20% effektiv bei der Stadt Weinheim verbleiben. Der Rest geht durch Verrechnungen des Landes bei den Schlüsselzuweisungen und anderen Ausgleichszahlungen “verloren”. Ob diese 20 Prozent ausreichen, um die entstandenen Kosten zu decken ist mehr als fraglich.

1.2.1

Das städtebauliche Konzept ist nicht zukunftsorientiert und sieht eine unwirtschaftliche Flächennutzung vor. 2 Meter breite Gehwege werden dort nicht gebraucht, weil nicht so ein hoher Fußgängerverkehr stattfinden wird. Vielmehr würde es dazu führen, dass die Gehwege zum Abstellen von Kraftfahrzeugen missbraucht werden. Überhaupt muss zunächst die Frage geklärt werden, ob im Zeitalter der Digitalisierung noch weiter so großzügige Gewerbeflächen gebraucht werden.

1.4.2

Ich teile nicht die Position, dass gemäß § 1a Abs. 2 Satz 2 BauGB das Gewerbegebiet gerechtfertigt ist. Es würde also gegen das Gesetz verstoßen.

4.1

Die Verkehrsprognose berücksichtigt nicht das Zusammenwirken aller geplanten Baumaßnahmen in Weinheim und der Region. Bereits jetzt sind in den Hauptverkehrszeiten hohe Wartezeiten zu verzeichnen, welche die Verkehrsteilnehmer nur widerwillig hinnehmen. Unfälle an Knotenpunkten verursachen schon jetzt sehr häufig lange Staus und viel Ärgernis. Wer die sozialen Medien in Weinheim aufmerksam verfolgt kann dies unschwer feststellen. Mehrere Anrainer der Olbrichtstrasse haben in ihren Anmerkungen während der frühzeitigen Beteiligung erwähnt, dass es bereits heute öfters nennenswerte Störungen an der Einmündung zum Multring gibt. Deshalb ist es nicht richtig, wenn von der Stadtverwaltung das Gegenteil ausgeführt wird.

4.6

Es sollte von den Verantwortlichen in Weinheim keine weitere Maßnahme gestattet werden, welche die Klimaverhältnisse in Weinheim negativ beeinflusst. Die reduzierte Belüftung durch lokale Kaltluft und die abgeschwächte Abkühlung durch den Warmlufteintrag aus dem geplanten Gewerbegebiet kann aus klimaökologischer Sicht nicht akzeptiert werden. Bevor die Verwaltung so etwas meint, sollte sie doch besser mal die Meinung der direkt Betroffenen eruieren und danach handeln.

Sollte es tatsächlich so sein, dass die planungsbedingten Leeeffekte auf Höhe des Sepp-Herberger-Stadions abgeklungen sind, was ich sehr in Zweifel ziehe, dann ist doch immerhin der Bereich bis da hin von einer klimaökologischen Verschlechterung betroffen. Also die Anwohner der Waidallee und tausende von Sportlerinnen und Sportlern in den Sport- und Freizeiteinrichtungen. Da soll also sehenden Auges zum Nachteil von vielen Tausend Menschen eine Planung durchgefochten werden. Darf das sein? Nein, Gemeinderat und Verwaltung dürfen nur zum Vorteil für Weinheim und seine Bürger tätig werden.

Nicht vergessen werden darf selbstverständlich auch, dass die Werktätigen, welche in dem geplanten Gewerbegebiet arbeiten sollen, von der Klimaverschlechterung betroffen wären.

5.4.1

Der hinteren Mult kommt als unbebaute Freifläche am Stadtrand, durch den mit der hohen Siedlungsdichte einhergehenden Erholungsdruck, eine Bedeutung für die Feierabend- und Naherholung zu.

Die Erholungseignung der Planungsgebietsfläche ist zwar bereits vorbelastet und eingeschränkt, aber dennoch hoch empfindlich gegenüber der Umnutzung als Gewerbegebiet.

Durch die Überbauung der bisher größtenteils landwirtschaftlich genutzten Flächen zwischen Stadtrand und ehemaliger Bahnlinie, gehen siedlungsnahe, wenn auch stark vorbelastete Naherholungsräume verloren.

Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb eine Zerstörung dieses Naherholungsraumes,auch wenn er vorbelastet ist, nur wegen dem Erweiterungswunsch einiger weniger Gewerbetreibender erfolgen sollte. Der Verweis auf den “Grünen Ring”, welcher durch das geplante Gewerbegebiet dann erreicht werden soll, löst das Problem nicht. Denn es wird in der Begründung nicht berücksichtigt, dass der Bereich Waidsee schon jetzt hochfrequentiert von Erholungssuchenden ist. Kommt nun noch das neue Wohngebiet Allmendäcker hinzu, sowie die weitere Bebauung am Seeweg, wird die Dichte der Erholungssuchenden zunehmen und somit der Erholungseffekt geringer werden. Ebenfalls nicht berücksichtigt sind die steigenden Gästezahlen im Miramar, welche sich ebenfalls negativ auf die Erholung der Anwohner auswirken. Zudem fehlt in den Überlegungen der Stadtverwaltung, dass allgemein auf bestehenden Grundstücken im gesamten Stadtgebiet ständig Verdichtungen stattfinden. Auf Grundstücken, wo bislang 4 Personen lebten, leben zukünftig drei- bis viermal so viele.

Dies alles müsste vor einer weiteren Bebauung untersucht werden.

5.4.2

Die Schutzziele sind bereits erreicht, wenn kein Gewerbegebiet entwickelt und die Situation so belassen wird wie sie derzeit ist. Die Verwaltung führt glaubhaft aus, wie wertvoll die hintere Mult für die Artenvielfalt ist. Ebenso, dass die Biotope dort hochempfindlich sind. Auch wenn es sich dabei um “keine gesetzlich geschützten” Biotope handeln sollte, so sind sie dennoch wichtig für die Artenvielfalt und die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger, welche in Weinheim gepflegt werden muss.

5.4.3

Die Schutzziele sind bereits erreicht, wenn kein Gewerbegebiet entwickelt und die Situation so belassen wird wie sie derzeit ist. Die Verwaltung führt glaubhaft aus, wie wertvoll die hintere Mult für die Bodenfunktionen ist. Ebenso, dass er dort hochempfindlich ist.

Insgesamt besitzt das Planungsgebiet eine hohe bis sehr hohe Bedeutung für den Bodenschutz. Durch die Planung sollen großflächig hochwertige Böden in Anspruch genommen und versiegelt werden. In diesen Bereichen käme es zum Verlust sämtlicher Bodenfunktionen. Das wäre ein Verstoß gegen den gesetzlich zu beachtenden Bodenschutz.

Die untere Naturschutzbehörde bemängelt in ihrem Schreiben vom 12.10.2017 ein hohes Kompensationsdefizit. Ich schließe mich dieser Meinung an. Es gibt keinen zwingenden Grund auf Bodenausgleichsmaßnahmen in irgendeiner Form zu verzichten, nur um billig Gewerbegrundstücke zur Verfügung stellen zu können.

5.4.4

Zur Sicherung der Grundwasservorräte und ihrer Qualität darf keine weitere unnötige Bebauung stattfinden. Der Untergrund aus zum Teil kiesigem Auesand ist stark durchlässig. Werden die Deckschichten abgetragen bzw. grundwasserführende Schichten beim Bau tangiert, so besteht eine erhöhte Gefährdung, dass Schadstoffe in das Grundwasser gelangen. Aufgrund des relativ geringen Grundwasserflurabstands ist das Grundwasser somit hoch empfindlich gegenüber potentiellen Schadstoffeinträgen.

Es ist unverständlich, wie die Stadtverwaltung zu der Einschätzung gelangt, es seien keine erheblichen Auswirkungen auf das Schutzgut Wasser zu erwarten.

Auch die Wasserrechtsbehörde des Rhein-Neckar-Kreises sieht hier einen Abwägungsfehler bei der Stadtverwaltung. Selbst wenn es rechtlich zulässig wäre auf Ausgleichsmaßnahmen zu verzichten. Die Sicherheit der Wasserversorgung (Trinkwasser) hat Priorität vor dem Erweiterungswunsch von Unternehmen.

5.4.5

hier Verweise ich auf meine Anmerkungen unter 4.6

5.4.7

Die Schutzziele werden durch die Umwandlung der hinteren Mult in ein Gewerbegebiet nicht erreicht. Insbesondere die Aussicht von den Hanglagen auf die Ebene, z. B. von den Wanderwegen, würde durch weitere Gewerbebauten negativ beeinträchtigt, was die Erholungsfunktion mindert.

5.4.8

Es sind außergewöhnliche Wechselbeziehungen zwischen den Schutzgütern zu erwarten. Warum die Verwaltung diesbezüglich eine andere Erwartungshaltung hat ist nicht nachvollziehbar. Die Verwaltung listet selbst eine Reihe negativer Folgen einer Bebauung auf, kommt dann aber immer zu dem Schluß, es sei nicht so schlimm, oder es sei beherrschbar, oder man könne eh nix machen. Diese Blauäugigkeit kritisiere ich sehr. Wer will die Verantwortung dafür übernehmen, wenn die absehbaren negativen Folgen dann doch so unerträglich werden und teure Maßnahmen erforderlich machen, welche schließlich mehr kosten als die eventuell erzielten Mehreinnahmen?

5.5

Die Verwaltung schreibt selbst: “Die größtmögliche Minimierung der negativen Auswirkungen des Eingriffs im Baugebiet hat Vorrang vor Kompensationsmaßnahmen.” Dem ist nichts hinzuzufügen. Also sofort weitere Planungen für “Hintere Mult” stoppen! Das ist die größtmögliche Minimierung.

5.5.4

Der Ökopunkte-Handel ist eine moderne Form des Ablasshandels. So mag es zwar den Anschein erwecken, dass die Verluste in Weinheim durch den Ankauf solcher Punkte ausgeglichen werden könnten, aber der Verlust in Weinheim bleibt dennoch bestehen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass durch dieses geplante Gewerbegebiet die Stadt Weinheim insgesamt einen Nutzen haben wird. Es handelt sich hier um einen Scheinausgleich.

Die Verwaltung führt selbst ausführlich aus, dass in der Region kein ehrlicher Ausgleich für Bodenverluste geschaffen werden kann. Aus diesem Grund muss der weitere Verbrauch von Boden eingestellt werden.

Zur Verkehrsuntersuchung B-Plan “Hintere Mult” folgende Anmerkungen:

3

Die Verkehrserhebung berücksichtigt nicht ausreichend zukünftige Verkehrszuwächse. Insbesondere werden aktuelle Neubebauungen in der Region, sowie die leider anhaltende Zunahme des überregionalen Verkehrs nicht in ihrer Relevanz berücksichtigt.

Besonders folgender Absatz auf Seite 5 der Untersuchung muss kritisiert werden.

“Beschwerden über den Verkehrsablauf an diesem Knotenpunkt liegen der Stadt nicht vor. Des Weiteren ist er auch nicht als Unfallhäufungspunkt bekannt und stellt kein Verkehrssicherheitsrisiko dar. Es ist daher davon auszugehen, dass die Verkehrsflussstörungen vor Ort von den Verkehrsteilnehmern nicht als offensichtliches Problem wahrgenommen werden und die teilweise hohen Wartezeiten akzeptiert werden.”

Bekanntermaßen liegen der Stadt sehr wohl Beschwerden vor. Auch bei der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit haben sich einige Anrainer über die jetzige Situation beschwert und vor einer Zunahme an dieser Stelle gewarnt bzw. ernsthafte Sorgen zum Ausdruck gebracht. Besonders die Schlussfolgerung, dass “die Verkehrsflussstörungen vor Ort von den Verkehrsteilnehmern nicht als offensichtliches Problem wahrgenommen werden und die teilweise hohen Wartezeiten akzeptiert werden”, kann nur als vollkommen falsch und fehlinterpretiert bezeichnet werden.

Es gibt keine Verkehrsteilnehmer, die hohe Wartezeiten akzeptieren. Wurden Verkehrsteilnehmer dazu befragt und machten diese jene Aussage? Falls ja, wer und wieviele?

Schon heute hat Weinheim mehr Ein- als Auspendler. Weitere Einpendler würden die ohnehin - insbesondere zu den Hauptverkehrszeiten - überfüllten Straßen zusätzlich verstopfen. Schon heute ist es so, dass kleinste Störungen – Unfälle, Tunnelwartungen, usw. – Verkehrschaos erzeugen. Frust bei tausenden von Berufspendlern, Zerstörung von Freizeit, Familienzeit und Zeit in der man produktiv sein könnte. Es muss deshalb vermieden werden, zusätzlichen Verkehr bei uns zu erzeugen. Die RNV-Linie 5 ist zu den Berufszeiten ebenfalls überfüllt, die Züge der Bundesbahn auch. Für Berufspendler die Busse und Bahnen benutzen darf ebenfalls keine weitere Belastung in Form von noch mehr Fahrgästen erzeugt werden. Wer anderes beschließen will, sollte zunächst einmal selbst zu den Hauptzeiten unterwegs sein, insbesondere in öffentlichen Verkehrsmitteln, um sich ein Bild zu machen.

Die bereits erwähnten vielen Staus führen zudem dazu, dass Rettungsfahrzeuge länger unterwegs sein müssen. Persönlich empfinde ich so, dass die Zahl der Unfälle und Feuerwehreinsätze kontinuierlich zunehmen. Deshalb muss vor weiteren Maßnahmen welche die Verkehrsmenge erhöhen überprüft werden, welche Auswirkungen das auf die Unfallhäufigheit und Wegezeiten für Rettungs- und Feuerwehrfahrzeuge hat. Die Belastung der Feuerwehrleute hat ebenfalls in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Diese darf nicht weiter erhöht werden.

Die Verwaltung geht also in diesem Punkt von völlig unrealistischen Annahmen aus, deren Zustandekommen höchst zweifelhaft ist. So eine Sichtweise kann ich nur als besonders einfältig bezeichnen. Vorausschauende Politik, also Stadtentwicklung, Verkehrsplanung, darf nicht dem Motto gehen: Bis jetzt hat sich niemand beschwert [was schon gar nicht stimmt], also kann noch draufgesattelt werden. Gerade anders muss gehandelt werden. Bevor eine Belastung zu groß wird, muss aufgehört werden, diese weiter zu steigern. Bei der Abwägung der öffentlichen und privaten Belange (Anlage 4 zu Drucksache Nr. 040/18) wurden viele Eingaben nicht wirklich ernst genommen.

Ohne Zweifel hat die Stadt Weinheim die moralische Pflicht, möglichst dazu beizutragen, damit ihre Wohnbevölkerung im erwerbsfähigen Alter einen adäquaten Arbeitsplatz bzw. Ausbildungsplatz bekommt. Aktuell hat Weinheim sehr wenig Arbeitslose. Zahlreiche Ausbildungsplätze sind noch unbesetzt. Es herrscht also kein Mangel. Im Gegenteil.

Für eine stabile soziale Struktur sind aktuell keine zusätzlichen Arbeitsplätze notwendig. Bevor die Stadt in dieser Richtung weiter aktiv wird, sollte zunächst versucht werden herauszufinden, welche Wünsche die Weinheimer Wohnbevölkerung hinsichtlich dem Angebot an Arbeitsplätzen hat. Dann hat die Verwaltung eine Datenbasis an der sich das aktive Handeln orientieren kann.

Dazu müsste ebenfalls der Faktencheck “Fachkräftepotenzial” in eine der Wirklichkeit entsprechenden Form gebracht werden. Es müsste vollständig festgestellt werden, welche Fachkräfte im erwerbsfähigen Alter aus der Bevölkerung der näheren Umgebung zur Verfügung stehen.

Gegen weitere Arbeitsplätze spricht zudem, dass fast alle Branchen derzeit einen Fachkräftemangel beklagen. Dieser würde ja dann noch schärfer werden und die Wirtschaftlichkeit mancher Betriebe und somit vorhandene Arbeitsplätze gefährden. Die soziale Struktur wird also durch ein zusätzliches Gewerbegebiet eher gefährdet als stabilisiert.

Hinzu kommt, dass jeder weitere Arbeitsplatz bei uns eine zusätzliche Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt schafft. Insbesondere bei preiswerten Wohnungen. Die Stadtverwaltung weiß sehr gut, dass selbst mit den neuen Baugebieten Allmendäcker und westlich Hauptbahnhof die aktuelle Nachfrage nicht gestillt sein wird.

Zusätzlich muss bedacht werden, dass trotz der aktuell hohen Nachfrage nach Wohnraum aufgrund der Altersstruktur unserer Gesellschaft die Zahl der Einwohner in Deutschland zurückgehen wird. Laut statistischem Bundesamt wird etwa 2020 der Spitzenwert erreicht sein. Selbst bei stärkerer Zuwanderung werden bereits 2030 etwa 2 Millionen weniger Menschen in Deutschland sein. 2040 sollen es 5 Millionen weniger sein.2060 dann fast 20 Millionen weniger.

Es ist also absehbar, dass weniger Bevölkerung in Deutschland die Kosten für den Erhalt der Infrastruktur bzw. deren Rückbau finanzieren muss. Wenn wir unseren Enkeln das nicht zumuten wollen, dürfen wir heute also nicht unnötig viel an Infrastruktur, also bebauten Gebieten, hinterlassen. Korrespondierend hat sie weniger Fläche für die Landwirtschaft, also regionale und gesunde Lebensmittel und Bioenergie.Momentan haben wir einen Zuzug aus den strukturschwachen Regionen in die Metropolen, also auch zu uns, weil dort keine Arbeitsplätze sind. Oft müssen die Leute pendeln. Tagesund Wochenendpendler gibt es viele. Die Verwaltung hat unter Punkt A8.1 völlig Recht, dass Menschen die hier ihren Lebensmittelpunkt haben nicht in strukturschwache Regionen pendeln sollen. So einen Quatsch hat auch niemand gefordert. Es soll aber auch niemand aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sein, hierher zu pendeln bzw. umzuziehen. Zudem wäre es mal eine Untersuchung wert, ob die Konzentration von Menschen und Wirtschaftskraft in den Metropolen ökologischer ist. Nicht nur ich habe da erhebliche Zweifel.

Die Landwirtschaft wird in den Abwägungen der Verwaltung leider auch nicht entsprechend ihrer wichtigen Funktion in unserer Gesellschaft behandelt. Der lapidare Hinweis, dass auch ohne die Hintere Mult weiter Landwirtschaft in Weinheim sein wird, ist geradezu lächerlich einfältig. Die Verwaltung berücksichtigt nicht, dass die Landwirtschaft zahlreiche Grundstoffe für andere Wirtschaftszweige liefert. Auch der Hinweis, dass die Landwirtschaft vor Ort sowieso nicht zu 100% die Bevölkerung ernähre, zeigt, dass die Verwaltung die globalen Zusammenhänge zwischen Welternährung und weltweitem Frieden nicht im Fokus hat. Je weniger bei uns an Lebensmitteln produziert wird, um so mehr wird dann gerade aus den ärmeren Ländern bei uns importiert, was dort zu Verteuerungen führt und Fluchtursachen vermehrt, anstatt diese zu mindern. Es spielen da sicher noch andere Faktoren eine Rolle, wie die Exportsubventionierung und Praxis der Fischereiflotten, was hier nicht weiter ausgeführt werden soll.

In die Überlegungen einbezogen werden muss die Biogasanlage Grosshans. Diese produziert mit vor Ort angebauter Biomasse Wärme und Strom für das ökologische Musterbaugebiet Lützelsachsen Ebene. Herr Großhans ist ein Vertragspartner der Stadtwerke Weinheim. Er hat vor wenigen Jahren auf Bitten der Stadt seine Anlage erweitert. Die Stadtwerke machen mit dieser Anlage Werbung für ihr Energieangebot. Die Stadt würde mit dem geplanten Gewerbegebiet ihren eigenen Vertragspartner schädigen. Es ist ökologisch und ökonomisch falsch, diesen dazu zu zwingen Biomasse aus weiterer Entfernung herbeizuholen, um die Bio-Energie zu erzeugen. Die Stadtwerke könnten die von ihr gemachten Werbeaussagen gegenüber ihren Kunden in Lützelsachsen nicht mehr einhalten aufgrund eines Beschlusses des GR.

Das wäre keine gute Werbung und würde das Vertrauen schädigen. Wie beurteilt die Stadtverwaltung den sicher eintretenden Imageschaden allein bei diesem Sachverhalt? Um welchen Grad würde die CO2-Bilanz schlechter werden? Wie schätzt die Stadt den Vertrauensverlust der Stadtwerke ein, wenn sie zukünftig mit irgendjemand verhandeln will bzw. muss?

Doch auch der Bauernhof Grosshans ist gefährdet. Hat er weniger Anbaufläche kann er eventuell nicht mehr rentabel betrieben werden. Alleine ein Verlust der Milchtankstelle wäre ein großer Schaden für Weinheim. Tausende von Menschen versorgen sich hier umweltfreundlich mit Milch. Viele Schulklassen und Kindergartengruppen besuchen über das Jahr diesen Bauernhof. Wie soll den Kindern dann erklärt werden, wie die Milch von der Kuh in Tetrapacks kommt und dass man Milch auch direkt von der Kuh trinken kann? Auch andere Produkte werden in der „Hinteren Mult“ angebaut.Die Stadt Weinheim gibt auf ihrer Webseite Tipps für Klimaschutz und Emissionseinsparungen. Die Leute sollen unnötige Autofahrten vermeiden und regionale Produkte kaufen. Wenn die Stadt nun durch die Ausweisung weiterer Gewerbeflächen gerade weiteren Autoverkehr erzeugt, und den Einkauf regionaler Produkte unterminiert, macht sie es den Menschen schwer diese Tipps zu befolgen. Das passt nicht zusammen. Weiter hat es zur Folge, dass die verbleibenden Anbauflächen bei uns um so intensiver bewirtschaftet werden. Auf der anderen Seite mehr Bio-Anbau zu fordern,wie es unser 1. Bürgermeister öfters macht, ist widersprüchlich. Auch die Anmerkung der Verwaltung unter A8.5, die Landwirtschaft bringe intensiv genutzte Kulturflächen hervor, muss vor diesem Hintergrund hinterfragt werden.

Die Anmerkung unter A8.6, der Erholungsraum sei bereits eingeschränkt, kann nicht als Rechtfertigung anerkannt werden, diesen ganz zu zerstören.

Unter A8.7 schreibt die Verwaltung: “Die Arbeiterinnen müssten womöglich weite Strecken zurücklegen,...”. Das ist eine Spekulation, welche dringend mit belastbaren Zahlen untermauert werden müsste. Es müsste also zunächst festgestellt werden, welche Strecken die Arbeiterinnen jetzt für ihren Arbeitsplatz zurücklegen. Der Ansatz der Verwaltung, die Arbeiterinnen nicht unnötig viele Strecken fahren lassen zu wollen, ist sehr richtig. Dass dies durch ein zusätzliches Gewerbegebiet in Weinheim erreicht werden könnte, ist nicht ansatzweise nachgewiesen. Das müsste nachgeholt werden.

Bei A23.6 meint die Verwaltung, die Zielvorstellung, Arbeitsplätze und Wohnraum nur noch in bestimmten Regionen anzubieten, um den Siedlungsdruck in Ballungsräumen zu mindern sei ein planwirtschaftlicher Ansatz, für den das politische und wirtschaftliche System der Bundesrepublik keine Grundlage bilde.

Zunächst ist anzumerken, dass nicht gefordert wurde “nur” in bestimmten Regionen tätig zu werden. Zudem scheint die Stadtverwaltung nicht alle Forderungen unseres Grundgesetzes und der Verfassung des Landes Baden-Württemberg zu kennen. Grundgesetz Artikel 12

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.

Daraus könnte die Verpflichtung des Staates interpretiert werden, für alle Deutschen die Möglichkeit zu schaffen, wirklich den Arbeitsplatz frei wählen zu können. Dass also Arbeitsplätze da zu schaffen sind, wo die Arbeitssuchenden arbeiten wollen, und nicht da wo Unternehmen investieren wollen.

Konkreter wird die Landesverfassung Baden-Württemberg. In deren Vorspruch steht eindeutig: “.... die Freiheit und Würde des Menschen zu sichern, dem Frieden zu dienen, das Gemeinschaftsleben nach den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit zu ordnen, den wirtschaftlichen Fortschritt aller zu fördern, ….”.

Und in Artikel 3a:

(1) Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.(2) Der Staat fördert gleichwertige Lebensverhältnisse, Infrastrukturen und Arbeitsbedingungen im gesamten Land Die Stadt Weinheim ist Teil des Staates und hat so ihren Teil dazu beizutragen, die Verfassungsziele zu erreichen. Besonders zu beanstanden ist, dass die Verwaltung mit keiner Silbe den Zusammenhang zwischen steigender Wohnungsnachfrage und weiteren Arbeitsplätzen behandelt.

In A24.6 stellt die Verwaltung richtig fest, dass die “Hintere Mult” keine touristische Attraktion ist. Sie schätzt es aber falsch ein, wenn sie meint, die Erholung dort würde nicht beeinträchtigt werden, wenn sie zum Gewerbegebiet gemacht wird. Zudem vergisst die Verwaltung die Besucher - Erholungssuchenden - die an den Bergtraßenhängen unterwegs sind und in die Rheinebene schauen. Meint die Verwaltung tatsächlich, Erholungssuchenden ist es egal, ob sie auf Felder oder Lagerhallen gucken?

Dass bei diesem Bebauungsplan die Ergebnisse der Klausurtagung des Gemeinderats zur Gewerbeentwicklung ausdrücklich nicht berücksichtigt werden, ist unverständlich und schlecht für die Entwicklung Weinheims.

Die geplante Gewerbebetriebsansiedlung in der Hinteren Mult dient offensichtlich nur zwei Firmen und den Olbrichtstrassenanrainern. Die Interessen dieser Firmen werden von der Verwaltung ernst genommen, nicht aber die der Landwirte, der erholungssuchenden Anwohner, nicht das Klima und der Wasserschutz, die Wildtiere, die für die Grundversorgung der Bevölkerung notwendigen Böden, usw. Aus den genannten Gründen soll von einem Gewerbegebiet “Hintere Mult” Abstand genommen werden. Die Situation ist so zu belassen wie sie derzeit ist.

Freundliche Grüße

Matthias Hördt