Broschüre: „Zukunft Weinheim“

Sesamstraße für Erwachsene

Eine kritische Betrachtung von Uwe Rastetter

Sie lag letzte Woche in den Weinheimer Nachrichten: Die kostspielige Infobroschüre „Zukunft Weinheim“, die dem unbedarften Bürger kindgerecht erklären soll, dass die Weinheimer Wirtschaftsvertreter vor allem eine hohe Gewerbesteuer zahlen möchten, um das Gemeinwesen in Weinheim weiterhin aufrecht zu erhalten. Man erwähnt übrigens nicht, dass wir Bürger auch sehr viel Steuern zahlen, spenden und Ehrenamtliches für Weinheim leisten.

Tja, die großflächige Broschüre könnte symbolisch nicht treffender das fragwürdige Verhältnis zum Flächenverbrauch in Weinheim aufzeigen:

Auf 12 weitestgehend druck- und inhaltsleeren Seiten werden diverse Schlagwörter und bunte Diagramme gezeigt, die dann als Nebelraketen in den Weinheimer Himmel starten und zum besseren Unverständnis beitragen.

Wir werden z.B. in großen Lettern aufgeklärt, dass von den arbeitenden Menschen 55% Männer sind und wir 2.191 Betriebe haben. Schlichtweg die Nennung von 37 Mio. Euro Gewerbesteuer 2018 soll beeindrucken. Fast alle Zahlen werden nicht in einen Entwicklungsverlauf oder in Bezug zu einer wirtschaftsrelevanten Referenzgröße gesetzt. Also nur Zahlenebel.

Die naiven Fragen könnten direkt von Ernie und Bert aus der Sesamstraße kommen. Sie unterstellen uns erwachsenen Lesern ein Wirtschaftsverständnis auf Primatenniveau. Es wird uns banalst erklärt, was für uns richtig sei.

So banal, dass Steuermehreinnahmen in keinem Verhältnis zu teuren Erschließungs- und schwer kalkulierbaren Infrastrukturkosten genannt werden. Wir Bürger haften letztlich dafür.
So banal, dass die Nennung weiterer Baumaßnahmen und Negativfolgen nicht erwähnt werden. Arbeitsplätze, die man ansiedeln will, nimmt man woanders weg und schadet damit bestehendem Gewerbe.

So banal, dass die klimatischen Folgen und Bodenenteignung der Bauernfamilie nicht erwähnenswert sind.

So banal, dass man erklärt, wie eine 100% gewerbefreie Stadt wohl aussehe, obwohl die Gegner sich nur gegen einen Stopp des Flächenfraßes aussprechen und nicht für die Abschaffung von Gewerbe. Wir wissen, dass Gewerbe ein wichtiger Teil unseres Weinheimer Lebens ist.

Man hätte uns besser informiert, was an proaktiven Ausgleichsmaßnahmen für die Natur in Weinheim angedacht wird und zumindest Erklärungen versucht, wo die Wirtschaftsvertreter die Grenzen des Ausbaus sehen. Da kommt aber nichts Substantielles zusammen, das den Druck wert wäre. Geschweige denn, will man sich festlegen.

Es ist zynisch, wenn sie davon sprechen, dass bei der Hinteren Mult wieder mal nur 0,5% der Landwirtschaftsfläche in Weinheim verloren gingen. Es sind die permanent fortschreitenden Prozente im Flächenfrass. Die Summe macht es. Da darf man das Sichtfeld auch nicht nur auf Weinheim beschränken. Es wird doch gerade die gesamte, untere Bergstraßenregion ökologisch platt gemacht.
Ist es ihnen noch nicht aufgefallen, was an Flächen gerade alles zugepflastert wurde (Heddesheim, Hirschberg, Bensheim usw.). Vielleicht sollte man sich mal Gedanken machen, wie viele gut steuerzahlende und engagierte Einwohner irgendwann Weinheim den Rücken kehren werden, weil sie die Verschandelung nicht mehr ertragen.
Die Wirtschaftsvertreter hatten in der Zeitung dazu aufgerufen, dass Befürworter des Gewerbegebietes „Hintere Mult“ am 22.5. endlich Flagge zeigen sollten. Ich habe keinen einzigen mit Plakat o.ä. gesehen, dagegen hunderte betroffener Anwohner, Bauern und Bodenschützer. Ich hoffe, viele Bürger haben erkannt, dass weder die „Zukunft Weinheims“ noch die der Bergstraße in der Versiegelung weiterer Flächen liegen kann.
Ich gehe am Sonntag (26.05.2019) zur Wahl.